Weltrekord mit 80 Fallschirmspringerinnen geglückt

Text: Anabel Brugger

Weltrekord mit 80 Fallschirmspringerinnen geglückt

Veröffentlicht von , 21. Februar 2023

Text: Anabel Brugger

Anabel Brugger, Vertreterin der jungen Generation Fallschimsport NRW, berichtet vom Weltrekordversuch „Project 19“ in Eloy, Arizona.

“Calm and Smooth”- the Women Power

Die Frauen-Weltrekord-Versuche von „Project 19“ waren eins der Highlights meines Lebens! Sie
fanden in Eloy, Arizona, vom 20. – 26. November 2022 statt. Die Organizers waren Amy Chmelecki und
Sara Curtis. Insgesamt kamen 120 Frauen aus 23 Ländern zusammen, um eine 100er Formation zu
fliegen. Ich nahm als einzige Deutsche und als Zweitjüngste teil. Die Einladung dafür hatte ich im
September bekommen, durch ein „Tryout“ in Schweden beim Vector Festival im August 2022. Zu
diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht viel über den geplanten Weltrekord und hätte mir damals gar
nicht vorstellen können, dass ich überhaupt drüber nachdenken würde, dort teilzunehmen. Dies in
Erwägung zu ziehen, wurde mir dadurch möglich, dass die Teilnahme am Rekord gesponsort wurde.

Der Hintergrund von „Project 19“ ist, dass das Women Skydiving Network (WSN) Frauen weltweit
motivieren möchte, große Träume zu verwirklichen und ein mutiges Leben zu führen. Das 19.
Amendment, die Verfassungsänderung der Vereinigten Staaten, welche den Frauen das Wahlrecht
einräumte, wurde am 18.08.1920 bestätigt. Deshalb wollte man das Projekt mit 100 Frauen im Jahr
2020 durchführen, welches jedoch auf das Jahr 2022 verschoben werden musste.

Mit großem Respekt und der Erfahrung von 700 Sprüngen und meiner zuvor größten Formation von
20 Springern aus einem Flieger, war es die bisher größte Herausforderung meines Lebens. Aber ich war
mit voller Überzeugung bis zum Ende dabei und habe mein Bestes gegeben. Durch viel Motivation und
guter Zusprache von meinen Freunden meiner Home Dropzone Marl, super Tipps und gemeinsame
Sprünge mit Philipp Exner und großartige, immer wieder unterstützende Freunde aus Fehrbellin sowie
aus meinem geliebten Airberlin Team, konnte ich letztendlich gestärkt und mit Vorfreude nach Arizona
fliegen. Sobald ich nach schwieriger Anreise mit verpassten Flügen und Nachtstrandung in Chicago
während eines Schneesturms am Samstag endlich an der Dropzone ankam, machte ich erstmal ein
paar Sprünge, um alles kennenzulernen und mich auch mit der Landung in der Wüste vertraut zu
machen. Vor Ort war alles neu und spannend und es war schön, einige bekannte Menschen wieder zu
sehen.

In Skydive Arizona ging es am ersten Tag (Montag) mit einigen Warm- Up Sprüngen der Sektoren in
20er Gruppen und mit Tunnelfliegen los. Die 40er Basis trainierte währenddessen die Basis zu
launchen, sie ruhig und effizient zusammenzufliegen. Der erste Sprung des Tages verunsicherte mich,
es lief nicht nach Plan und ich kam nicht zu meinem Slot, die Basis drehte und die Formation flog so
langsam, wie ich es gar nicht gewohnt war. Dann schwirrten mir die Gedanken durch den Kopf und ich
machte mir Sorgen über den nächsten Tag, über die nächsten Sprünge. Es war aber schließlich der
erste Sprung, viel Aufregung mit dabei, dann hieß es einmal tief durchatmen und in sich vertrauen.
Erstmal gingen wir in unseren Pods Tunnelfliegen, dann machten wir zwei weitere Warm Up Sprünge
und es lief perfekt. Wir alle waren nach ausführlichen Briefings und einem finalen Meeting in unserem
Selbstbewusstsein gestärkt und mental bereit für die ersten Großformationen am nächsten Tag.
Abends ging ich jedoch mit großer Aufregung schlafen und konnte noch nicht realisieren, dass wir in
zwölf Stunden mit 100 Leuten in der Luft zusammenfliegen würden.

Am zweiten Tag (Dienstag) legten wir also direkt mit 100 Frauen aus fünf Fliegern los. Die Bank
trainierte auch während der ganzen Woche mit 20 Frauen und machte täglich meistens die Anzahl an
Sprüngen wie die Großformation. Wir gingen auf 19.000 Fuß hoch, fast 6.000 Meter und ab 4.000
Metern bekam jeder über einen Schlauch Sauerstoff. In den letzten Minuten vor dem Exit machte ich
im Flieger immer ein bisschen Kopfrechnen, um mich selbst zu kontrollieren. Den Steigflug über
visualisierte ich den Sprung von Anfang bis Ende aus verschiedenen Perspektiven, und konzentrierte
mich auf die Atmung, um meine Aufregung und Nervosität etwas herunterzufahren. Sobald es für den
ersten Sprung losging und wir im Flieger saßen, war ich absolut konzentriert. Ich verspürte zwar etwas
Kribbeln im Bauch, war jedoch die Ruhe selbst, wie ich sie bei keiner Prüfung in der Uni je erlebt habe.
Ich fragte mich im Flieger tatsächlich, wo denn meine Nervosität bleiben würde.

Wir machten fünf Sprünge, alle ohne Griffe zu nehmen, bis auf die 40er Formation. Mein Slot war ein
Dive Slot, Second Stinger an dem Second Pod, hinter dem blauen Pod aus der Basis. Auch die First
Stinger durften an der 40er Basis beim dritten Sprung ihre ersten Griffe nehmen. Dadurch flog die
Formation „calm and smooth“. Wir konzentrierten uns auf unseren Slot im „Stadium“ und darauf, auf
Head-Level zu fliegen (einen Kopf tiefer als die Person vor dir), durch das Zentrum der Fromation auf
unseren Cross Partner schauend. Diese Herangehensweise wählten die Organizers, damit sich alle
Fliegerinnen nicht nur auf den Griff konzentrieren und dadurch Unruhe reinbringen. Der äußere Layer
an Fliegerinnen und somit auch ich durften erst bei den beiden letzten Sprüngen des Tages ihren Griff
nehmen, die Pod Closer nahmen ihren ersten Griff erst beim fünften Sprung. Dies funktionierte gut
und gab uns ein großes Erfolgserlebnis für den Tag.

Am dritten Tag (Mittwoch) schafften wir vier Sprünge und der Großteil kam dazu einen Griff an der
Formation zu nehmen. Hier und da wurden ein paar Fliegerinnen ausgetauscht oder auf andere
Positionen gewechselt. Ich behielt meinen Slot vorerst bei und blieb immer im selben Flieger. Wir
waren das „Lovely Ladies Trail“ und entwickelten einen Team Spirit welcher uns in Zeiten unter Druck
„an der Luft hielt“. Wir machten große Fortschritte und hatten bereits eine stark fliegende 64er
Formation, bei der noch 36 Frauen fehlten, jedoch in unmittelbarer Nähe waren.

Am vierten Tag (Donnerstag) kam uns leider das Wetter in die Quere. Am Morgen machten wir nur
einen Sprung bei Eiseskälte. Ich kann mich an meine Gedanken während des Fliegens erinnern – ich
hatte meinen Griff, konnte diesen aber aufgrund der Kälte und dem fehlenden Gefühl in meinen
Fingern kaum spüren. So kalt habe ich es noch nicht erlebt. Am Abend wurden wie immer die
Formationsaufstellungen für den nächsten Tag veröffentlicht, diesmal wurde die Formation gecuttet,
alle äußeren Fliegerinnen fielen weg. Nun war klar, die kleinsten Fehler könnten passieren und man
war raus, die Organizers wurden nun viel strenger.

Am fünften Tag (Freitag) machten wir erneut fünf Sprünge. Die 70er Formation startete und holte den
ersten Rekord. Nun waren 50 Frauen auf der Bank. Weiter ging es mit der 80er Formation, welche
ebenfalls erfolgreich war. Alle anderen mussten sich währenddessen auf der Bank beweisen und
wurden je nach Leistung nach und nach in die Großformation gezogen. Hier war der Druck nun viel
größer, aber ich gab alles, verfiel in keine negativen Gedanken und wollte mich einfach nur in die
Großformation zurückkämpfen und bis zum Ende dabei sein. Es hatte sich gelohnt, nach zwei Sprüngen
auf der Bank war ich zurück in der Großformation und musste mich weiter beweisen.

Letzter Tag (Samstag) unsere finalen Rekordversuche, ich war zum Glück wieder mit dabei. Gab mein
aller, aller Bestes und kam in allen sechs Sprüngen, welche wir an dem Tag machten, in meinen Slot
und nahm meinen Griff. Dies war für mich persönlich viel mehr mentale als körperliche Arbeit. Den
Weg vom Flieger zur Formation hatte man raus, auch wenn jeder Sprung anders aussah, aber das
Prinzip war verinnerlicht und ich musste darüber nicht mehr viel nachdenken. Das Visualisieren im
Flieger lief von allein ab.

Der erste und zweite Sprung: Beinahe die 100 geschafft, es fehlten vielleicht zwei oder drei Griffe.
Dritter Sprung: Gecuttet wurde auf 97. Nach diesem Sprung öffnete ich meinen Schirm und jubelte.
Wir landeten und die Videomänner jubelten ebenfalls, alle feierten diesen Sprung und umarmten sich.
Ich hoffte so sehr, dass wir den Rekord nun hatten. Die Judges rätselten sehr lange und wir schwebten
in Unwissenheit. Wir mussten jedoch schnell packen, da wir wussten, es könnte sein, dass wir direkt
wieder in die Luft müssen. Wir brachen den Rekord erneut mit einem jedoch inoffiziellen neuen
Rekord, dem 97er, bei dem sich 96 Frauen gleichzeitig an den Händen hielten! Es handelte sich hier
nur um ca. 1/10 Sekunde vor der Separation, da die erste Person begann ihren Griff zu lösen, der letzte
Griff einer anderen Person aber erst dann vollständig zu war.

Vierter Sprung: Die Formation wurde gecuttet auf 95. Wieder waren wir fast alle dran. Ich sah aus
meiner Perspektive, dass die Formation nicht vollständig war, zwei bis drei Frauen bekamen ihren Griff
leider nicht. Auch beim fünften Sprung waren wir wieder nah dran.

Sechster Sprung im Sunset: Die Formation wurde gecuttet auf 89. Meine Emotionen wollten verrückt
spielen, aber ich behielt meine Ruhe und Konzentration, nahm entspannt meinen Griff, sah aber
trotzdem das Chaos um die Formation herum. Hier wurde klar, alle waren erschöpft, es war genug.
Natürlich wäre es schön gewesen, noch einen weiteren Rekord zu brechen, es sollte aber nicht sein.
Jeder Rekordflieger wird jetzt wissen, wovon ich hier spreche, wenn ich sage, dass ich froh war, als wir
an diesem Tag unseren letzten Sprung hinter uns hatten. Da bin ich ehrlich, am letzten Tag schlauchte
es wirklich, die Absetzhöhe, der zusätzliche Sauerstoff, die Wüste mit ihren teilweise harten und
schnellen Landungen sowie der Stress durch den Druck, definitiv performen zu müssen, da man nicht
diejenige sein wollte, welche es von 100 Frauen als einzige nicht schafft. Hier heißt es an sich selbst zu
glauben, in sich selbst zu vertrauen, ruhig zu atmen, sein 100% Bestes zu geben und sich gegenseitig
zu motivieren.

Alles in Allem war es für mich ein unglaubliches, unvergessliches Erlebnis und es hat Lust auf weitere
Herausforderungen gemacht. Was am Ende zählte, war eben unser starkes Teamwork, das
gegenseitige Unterstützen und natürlich die Erfahrung in unserem Sport. Hinzu kam das
Allerwichtigste, die Sicherheit, welche in jedem Sprung, bis zur Landung vollständig und bewusst von
jeder Person beachtet werden musste – jeder Sprung beruhte daher auch auf viel gegenseitiges
Vertrauen. Unser Zusammenhalt und auch das Können der Frauen hat mich tief beeindruckt.

Ob also offiziell oder inoffiziell, der Rekord von 2016 mit 65 Frauen ist jetzt gebrochen, wir haben eine
Woche lang unser Bestes gegeben und der offizielle Frauen-Weltrekord liegt nun bei 80!

Danke an alle Menschen, welche Teil dieses Events waren, an meine Freunde weltweit, welche immer
an mich glauben, an meinen Verein Fallschirmsport- Marl sowie auch an die Jugendförderung für
Luftsport NRW für die Unterstützung!

Anabel Brugger, Vertreterin der jungen Generation Fallschirmsport NRW, E-Mail: brugger@aeroclub-nrw.de

Hier geht es ebenfalls zum vollständigen Bericht.